Veranstaltung: | 2. Landesmitgliederversammlung 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Inhaltliche Anträge |
Status: | Beschluss |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 21, Nein: 0, Enthaltungen: 1 |
Beschluss durch: | Landesmitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 04.07.2020 |
Eingereicht: | 14.07.2020, 22:04 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Menschenwürdige Asylpolitik in Sachsen jetzt!
Beschlusstext
Das Recht auf Asyl ist ein in unser Verfassung verankertes Grundrecht. Von
konservativen Kräften, die auf Landes-, Bundes und Europaebene stark vertreten
sind, wird dieses Recht jedoch aus politischem Kalkül mit Füßen getreten. Wir
als GRÜNE JUGEND Sachsen fordern die bedingungslose Einhaltung
menschenrechtlicher Standards für geflüchtete Personen. Nicht aus Wohlwollen
heraus, sondern weil die betroffenen Personen ein Recht auf Schutz und
menschenwürdige, gleichberechtigte Behandlung haben.
Die Lage außerhalb wie auch innerhalb der europäischen Grenzen für Geflüchtete
ist extrem prekär. Das Elendslager Moria ist dafür nur eines von vielen
Beispielen. Die bisherigen Vereinbarungen auf Landesebene zur Aufnahme von 70
schützbedürftigen Minderjährigen ist kann nur ein erster Schritt sein, darf aber
nicht der einzige bleiben. Die Lager in den Mittelmeerstaaten müssen geräumt
werden. Die sächsische Regierung muss sich für eine vollständige Evakuierung
einsetzen und sich verpflichten, Schutzsuchende aufzunehmen.
Wir fordern die starke Ausweitung des Aufnahmeprogramms insbesondere von den
griechischen Inseln, denn #wirhabenPlatz.
Wir fordern zudem den Einsatz aller grünen Landesregierungsmitglieder im
Bundesrat für ein bundeseinheitliches Gesetz zu den nötigen Aufnahmeprogrammen.
Es existieren keine öffentlich zugänglichen Statistiken zu den aktuell sich in
der Abschiebehaft befindenden Personen. Wir fordern deshalb die verpflichtende
Veröffentlichung von anonymisierte Zahlen über die sich in Abschiebehaft
befindenden Personen beim SMI.
Personen, die sich in Sachsen in Abschiebehaft befinden, haben nur Zugang zu
Rechtsberatung, wenn sie diese explizit anfordern. Wir fordern ein offenes,
durch das Land Sachsen finanziertes Sprechzeitenmodell, um allen Menschen in der
Abschiebehaft die Wahrnehmung von Rechtsberatung zu ermöglichen.
Auch wenn einige Bedingungen - wie die Rechtsberatung - leichte symptomatische
Verbesserungen darstellen, ist und bleibt die Situation von Personen in
Abschiebehaft prekär. Geflüchtete*r zu sein ist keine Straftat. Wir fordern
deshalb das Ende der Abschiebehaft in Sachsen und in der gesamten
Bundesrepublik.
Die CDU hat sich mehrfach nicht an die im Koalitionsvertrag festgehaltene
Vereinbarung, Geflüchtete prinzipiell nicht vom Arbeitsplatz abzuholen,
gehalten. Auch die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen kritisierte
dieses Vorgehen in Sachsen. Wir fordern die bündnisgrünen Mitglieder der
Regierung auf, dieses Verhalten öffentlich zu kritisieren. Auch als Teil der
Regierung dürfen wir Menschenrechte nicht über Bord werfen.
Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, CDU und Grüne auf die Entwicklung eines
Abschiebeleitfadens geeinigt. Solange Abschiebungen nicht ganz abgeschafft sind,
sehen wir die Einrichtung einer unabhängigen Abschiebemonitoringstelle am
Leipziger Flughafen als essenziell, um zumindest menschenrechtliche
Mindestansprüche der abzuschiebenden Personen zu gewährleisten. Wir fordern die
sächsische Landesregierung auf, finanzielle Mittel bereitzustellen und eine
unabhängige Stelle für Abschiebemonitoring zu etablieren.
Die bisher genannten Aspekte können zu einer Verbesserung der Situation von von
Abschiebung bedrohten Personen führen. Abschiebungen bleiben jedoch als solches
inhuman. Deshalb fordern wir ein generelles Ende von Abschiebungen.
Bisher hängt ein Arztbesuch vom Urteil der Sachbearbeiter*innen ab, die nicht
die notwendige medizinische Kompetenz besitzen, um den gesundheitlichen Zustand
der geflüchteten Person oder die Notwendigkeit einer ärztlichen Untersuchung
einzuschätzen. Die Gesundheitskarte verbessert die medizinische Versorgung,
kostet außerdem weniger als die bisherigen Abläufe und verringert den
bürokratischen Aufwand. Die Städte Dresden und Chemnitz haben für einen
verbesserten Zugang zum Gesundheitssystem für Geflüchtete bereits eine
Gesundheitskarte eingeführt. Dies ist jedoch nicht die Aufgabe der einzelnen
Kommunen.
Wir fordern die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte in ganz
Sachsen, um einerseits den Geflüchteten bei gesundheitlichen Beschwerden einen
unabhängigen und direkten Zugang zu medizinischem Personal zu ermöglichen, als
auch die Sachbearbeiter*innen zu entlasten.
Gewaltschutz für schutzbedürftige Gruppen zu gewährleisten heißt im Mindestmaß
eine menschenwürdige Unterbringung. In Erstaufnahmeaufnahmeeinrichtungen (EAE)
besteht ein Bedarf für verbesserte Gewaltschutzstrukturen. Dieser ist auch
essenziell für das psychische Wohl. Im Zuge des Corona Lockdowns wurde dieser
Missstand durch räumliche Enge und fehlende psychische Betreuungsmöglichkeiten
umso sichtbarer.
Am 30.06.2020 läuft zudem die Asylverfahrensberatung des DRK Sachsen, Malteser
Werke und der Johanniter-Unfall-Hilfe in sächsischen EAEs aus, welches vom Asyl,
Migration and Integration Fund (Amif) und dem sächsischen Innenministerium
finanziert wird. Das sächsische Innenministerium weigert sich die Förderung zu
verlängern - obwohl eine solche Beratung im Koalitionsvertrags fest verankert
ist.
Wir fordern daher das sächsische Innenministerium auf sich vertragstreu zu
verhalten und die finanzielle Förderung zu verlängern.
Gewaltschutz und besondere Schutzbedürftigkeit müssen zusammengedacht werden.
Deshalb fordern wir pro Aufnahmeeinrichtung eine*n unabhängige*n
Gewaltschutzkoordinator*in.
Zusätzlich birgt die ständige Missachtung der Privatsphärerechte der Menschen in
Sammelunterkünften Aggressions - und Konfliktpotential. Mit der Durchsetzung von
Hausordnungen werden häufige Zimmerkontrollen gerechtfertigt und so täglich der
Art. 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung) verletzt.
Hausordnungen setzen keine Grundrechte außer Kraft. Wir verlangen die Achtung
der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) für alle Menschen.
Zudem verlangen wir dass ein System für die Erkennung besonders
Schutzbedürftiger erarbeitet und gegründet wird. Diese soll in Zusammenarbeit
mit dem Psychosoziale Zentrum Sachsen (PSZ Sachsen), die Liga der freien
Wohlfahrtspflege Sachsen und anderen externen Trägern entwickelt werden.
Auf europäischer Ebene ist beschlossen, dass das Recht auf Bildung für Kinder ab
dem vierten Monat ihres Aufenthaltes gelten muss. Zudem ist der Schulzugang erst
möglich, wenn Kinder und Familien dezentral verteilt sind. Es muss also
gewährleistet werden, dass Familien spätestens nach drei Monaten aus den
Sammelunterkünften verteilt werden, und dies mit mehr Transparenz und mehr als
einer “Soll-Regelung”.
Kinder brauchen Kinder. Neben der ausreichenden Betreuung aller Geflüchteten
Personen von Sozialarbeiter*innen und durch Psycholog*innen braucht es in der
Zeit, bevor Kinder über Schule und Kindertagestätten pädagogisch betreut werden,
eine Überbrückung durch Betreuung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Dabei muss
es vordergründig um das Wohl der Kinder gehen, indem sie aus der anhaltenden
mentalen Fluchttrealität in eine stückweite Normalität versetzt werden.
Für die Gestaltung einer kindgerechten Aufnahmepraxis fordern wir eine
umfangreiche pädagogische Betreuung für Klein - und Schulkinder. Diese muss
umgehend ausgebaut werden.
Wir fordern zudem eine verpflichtende anonymisierte Veröffentlichung von
Informationen über die Unterbringungszeit und den Schulzugang von Kindern und
Familien sowie die gesetzlich festgeschriebene Dauer des Verbleibs in den
Erstaufnahmeeinrichtungen von drei Monaten bei Familien und Kindern nicht zu
überschreiten.
“Integration” und “Inklusion” wird von der Mehrheitsgesellschaft oft falsch
verstanden, wir haben nicht das Recht zu entscheiden, wer sich wie zu
integrieren hat. Wir haben als aufnehmende Gesellschaft die Aufgabe zu
integrieren und inklusiv zu sein.
Kein “Fördern und Fordern”mehr, sondern “fördern”. Dazu ist das Empowerment in
Migrant*innenräten und die stetige Zusammenarbeit mit migrantischen NGOs
notwendig. Im Gesetzgebungsprozess fordern wir die Beteiligung migrantischer
Positionen und progressiver Akteur*innen.
Wir fordern die sächsische Regierung und insbesondere das Staatsministerium für
Soziales dazu auf, im Prozess des sächsischen Teilhabegesetzes die Förderung und
das Empowerment von Personen mit Flucht- und Migrationsgeschichte
großzuschreiben.
Zusätzlich fordern wir Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung stärker in
den Arbeitsmarkt einzubeziehen. Sie sollen so schneller als Teil unserer
Gesellschaft angesehen werden.
Geflüchtete, die in Deutschland ein Ausbildungsverhältnis beginnen sind dadurch
noch lange nicht vor der Abschiebung gewahrt. Entscheidungen über die
Ausbildungsduldung fallen in der behördlichen Praxis oft stark unterschiedlich
aus. Betriebe schrecken aufgrund der verbundenen Unsicherheiten eventuell vor
der Einstellung von Geflüchteten als Auszubildende zurück. Damit werden auch
erfolgreiche Integrationsbemühungen zunichte gemacht. Ob eine Ausbildungsduldung
gewährt wird, darf nicht vom Gutdünken eine*r Sachbearbeiter*in abhängig sein.
Es braucht eine einheitliche Verwaltungspraxis in diesem Bereich du Gunsten der
Betroffenen.
Lohnarbeit ist nicht der einzige Weg, sich in einer Gemeinschaft einzubringen
und in dieser einen Platz zu finden. Auch gesellschaftliches Engagement, z.B. in
Gestalt eines Ehrenamtes soll bei der Gewährung eines Duldungsstatus nach §60a
III 2. Var. AufenthG berücksichtigt werden.
Geflüchtete in Ausbildung sowie Ausbildungsbetriebe brauchen Sicherheit. Wir
fordern daher die Staatsregierung Sachsen auf eine einheitliche Praxis zur
Gewährung von Ausbildungsduldungen zu Gunsten von Betroffenen zu schaffen.
Außerdem fordern wir einen Duldungsstatus unabhängig von einer Erwerbstätigkeit
auch bei einem vorliegenden gesellschaftlichen Engagement zu erteilen.
Sollte es in den kommenden Monaten oder Jahren eine Bundesdebatte über die
Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten geben, müssen sich die bündnisgrünen
Kräfte klar dagegen positionieren.
Die Definition von sicheren Herkunftsstaaten war immer schon eine politisch
kalkulierte Entscheidung. Das verfolgte Ziel dabei ist, Personen aus den als
“sicher” eingestuften Ländern von der Flucht abzuschrecken, indem ihre
Asylanträge in Deutschland im Schnellverfahren abgelehnt werden. Zudem müssen
Antragsteller*innen aus sog. “sicheren” Herkunftsstaaten Lagerunterbringungen,
Arbeitsverbote und weitere umfangreiche Diskriminierungen erleiden. Rechtsschutz
und ein faires Verfahren sind dabei nicht gegeben.Wir lehnen das Konzept der
sicheren Herkunftsstaaten klar ab und fordern alle progressiven
Regierungsmitglieder aus allen Bundesländern auf, für eine Abschaffung des
Konzeptes einzutreten und Vorschläge der Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten im
Bundesrat zu blockieren.
Wir setzen uns gemeinsam mit anderen progressiven Initiativen für ein
solidarisches Sachsen, gegen die Festung Europa und für bedingungslosen Respekt
sowie die Einhaltung von Menschenrechten in der Asylpolitik ein. Geflüchtete
haben ein Recht darauf!
Wir solidarisieren uns mit allen Menschen in Not und allen Fluchtbewegungen aus
Kriegs- und Krisengebieten.
Wir fordern von allen Politiker*innen in Europa, besonders aber in Deutschland,
sich gegen die wachsende Festung Europa zu wehren und für die Menschenrechte
Verantwortung zu übernehmen. Wir können dafür sorgen, dass ein solidarisches,
friedliches und weltoffenes Miteinander gefördert wird, was die
Menschenrechtserklärung nicht nur als theoretisches Papier sieht.
Begründung
Das Recht auf Asyl und menschenwürdige Behandlung ist nicht etwas, was wir aus Wohlwollen heraus garantieren können, sondern dass wir aufgrund des Rechts der betroffenen Personen darauf garantieren müssen. Die sächsische und bundesweite Asylpolitik muss sich an menschenrechtliche Standards halten.
Zum Landesaufnahmeprogramm (1.) sei ergänzt, dass nach den aktuellen Verhandlungen der Regierung Sachsen zum einen anstatt 20 nun 70 minderjährige Geflüchtete von den griechischen Inseln evakuieren möchte, sofern das Bundesinnenministerium die Kapazitäten anfragt. Zum anderen setzt die Regierung die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um, bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 bis zu 150 Personen im Rahmen des Resettlement-Programms des UNO-Flüchtlingshilfswerks in Sachsen aufzunehmen. Das ist ein erster Schritt, aber in Hinblick auf die globale Herausforderung und stetig steigende Anzahl von Personen auf der Flucht noch lange nicht ausreicht. Der Landesparteirat der Grünen unterstrich dies auch in seinem Beschluss vom 06. April 2020.
Abschiebungen und Abschiebehaft sind Methoden, die nie menschenwürdig umgesetzt werden können, da sie grundsätzlich falsch sind. Bis wir die Abschaffung dieser Praxen politisch erreicht haben, versuchen wir sie zumindest in ihrer Gravität abzumildern.
Die Maßnahmen der Gesundheitskarte, ein empowerndes Teilhabegesetz und Sicherheit für Auszubildende mit ungeklärten Aufenthaltsstatus sowie eine Ausweitung der Betreuungskapazitäten in EAEs und einem erweiterten Gewaltschutzkonzept sehen wir als wichtige Schritte hin zu einer menschenwürdigen Asyl- und Integrationspolitik in Sachsen.
Wir sprechen uns gegen die Ausweitung, und idealerweise für die Abschaffung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten aus, denn es ist ein politisches Framing, dass die individuellen Schutzansprüche von Personen aus diesen Ländern in einem im Schnelldurchlauf durchgeführten Asylverfahren unter den Tisch gekehrt. Die bisherigen sicheren Herkunftsstaaten sind politisch motiviert definiert worden. Es ist unsere Aufgabe als junggrüne Aktivist*innen, gegen eine Ausweitung dieser Liste zu kämpfen.
Wir setzen uns für eine menschenwürdige Asyl- und Integrationspolitik in Sachsen ein, und möchten den politischen Diskurs mit den obigen Forderungen progressiv mitgestalten.